Gesundheitsrisiko Stress: Smarte Sensorlösungen enttarnen den Krankheitsauslöser Nummer eins

Job, Familie, Freizeit – der Spagat, alle Herausforderungen des täglichen Lebens unter »einen Hut zu bekommen« und dabei nicht fortwährend »unter Strom zu stehen«, ist oft kein leichter. Das permanente Jonglieren von Aufgaben und To-Do-Listen, ständiger Termindruck und kontinuierliche Erreichbarkeit können schnell zu Dauerstress und damit an die Grenze der Belastbarkeit führen. Während positiver Stress zu Höchstleistungen motiviert, kann negativer Stress nicht nur das Wohlbefinden stören und die Lebensqualität einschränken, sondern auf lange Sicht zur Belastung werden. Ernsthafte gesundheitliche Probleme sind die Folge. Denn Stress gilt als einer der Hauptauslöser vieler Krankheiten unserer modernen Welt. Doch Stress belastet nicht nur uns Menschen, auch Tiere und Pflanzen reagieren auf belastende Umweltbedingungen. Am Fraunhofer ENAS werden hochsensitive »Stresssensoren«  entwickelt, die dabei helfen, Stresssignale bei Mensch und Tier sowie auf Zellebene schnell und präzise zu erkennen und vor einem Übermaß an Belastung zu warnen. Damit tragen die Gesundheitslösungen aus Chemnitz dazu bei, Krankheitsrisiken zu minimieren und im Sinne des »One Health«-Ansatzes die Gesundheit von Mensch und Tier in einem ausbalancierten Gleichgewicht zu halten.

Eine berufliche Herausforderung folgt der nächsten, die tägliche E-Mail-Flut will einfach nicht abreißen, Familie und Freunde sollen nicht zu kurz kommen und das zeitintensive wöchentliche Sportprogramm darf natürlich auch nicht fehlen. Diese und ähnliche Szenarien sind den meisten Menschen bestens vertraut: Die Tage sind gefüllt mit einer Vielzahl von großen und kleinen beruflichen wie privaten Verpflichtungen, die organisiert, geplant und erledigt werden müssen. Schnell können Situationen und Herausforderungen wie diese in Stress umschlagen, der sowohl positive als auch negative Effekte für den menschlichen Körper haben kann.

 

Ständig gestresst: Einfluss von Dauerbelastungen auf den menschlichen Körper

»Stress ist im Grunde eine natürliche Reaktion unseres Körpers auf bestimmte Reize, durch die dieser in Alarmbereitschaft versetzt wird und augenblicklich Energiereserven mobilisiert. Durch die Ausschüttung von Stresshormonen, wie Adrenalin und Cortisol, läuft unser Gehirn auf Hochtouren, unsere Muskeln werden angespannt, die Atmung beschleunigt sich, das Herz schlägt schneller und unsere Sinnesorgane sind geschärft. Unser Körper ist so blitzschnell zu Höchstleistungen fähig. Lässt die stressauslösende Situation nach, nimmt auch die Ausschüttung der Stresshormone ab, der Körper entspannt sich wieder und kommt zur Ruhe«, erklärt Dr. Mario Baum, Leiter der Abteilung »Health Systems« am Fraunhofer ENAS.

Ausgelöst wird Stress durch eine Vielzahl äußerer und innerer Reize, den so genannten Stressoren, die eine solche Stressreaktion des Körpers in Gang setzen. Diese stressauslösenden Faktoren können von extremem Lärm, beruflichen und privaten Konflikten, einer Überforderung am Arbeitsplatz, Krankheiten, permanentem Leistungs- und Termindruck bis hin zu Sorgen und Zukunftsängsten reichen. »Stressoren sind sehr subjektiv und von Mensch zu Mensch verschieden. Während bestimmte Reize bei manchen Menschen ein sehr hohes Stresslevel verursachen, erleben andere Personen diese Situationen als völlig unproblematisch und möglicherweise sogar angenehm«, erklärt der Wissenschaftler.

Damit wird deutlich, dass Stress sowohl positiv als auch negativ erlebt werden kann. Wird die Bewältigung von Aufgaben und Herausforderungen als bereichernd und motivierend wahrgenommen und ist von Freude und Glücksgefühlen begleitet, wird von positivem Stress gesprochen, dem sogenannten Eustress. Kommen jedoch Ängste und das unangenehme Gefühl von Überforderung hinzu, wird negativer Stress, der sogenannte Distress, empfunden.

»Vor allem negativer Stress stellt ein enormes Gesundheitsrisiko dar und kann bei einer Dauerbelastung die Entstehung von psychischen Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen begünstigen. Permanent überhöhte Cortisolwerte im Blut und ständige Anspannung rauben dem Körper schnell die letzten Energiereserven. Aus anfänglichem Herzrasen, Reizbarkeit und Appetitlosigkeit können langfristig chronische Müdigkeit, Erschöpfungszustände, ein Burnout oder Depressionen erwachsen. Ein dauerhaft erhöhtes Stresslevel kann nach Meinungen von Medizinerinnen und Medizinern das Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen oder auch eine Erkrankung an Diabetes mellitus begünstigen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Stress und der Entstehung von Krebs ist wissenschaftlich zwar nicht belegt, Ärztinnen und Ärzte vermuten jedoch, dass eine chronische Überbelastung des Körpers das Immunsystem langfristig schwächt und zur Bildung von Krebszellen führen kann«, erläutert Mario Baum.

 

Warnsignale erkennen: Fraunhofer-Stresssensorik identifiziert Dauerbelastung

Um eine dauerhafte Überbeanspruchung des Körpers zu erkennen und dieser durch geeignete Therapiemaßnahmen entgegenwirken zu können, sind wirksame diagnostische Monitoring-Tools gefragt. Sie helfen dabei, Stressindikatoren und erste Warnsignale des Körpers frühzeitig zu erkennen, noch bevor ernsthafte Erkrankungen entstehen.

Ein solches Tool entwickeln die Fraunhofer-Forschenden aus Chemnitz. Eine patientenfreundliche Multi-Biosensorik soll es in Zukunft erlauben, verschiedene Vitalparameter und Biomarker, die auf ein Übermaß an Stress hindeuten, in ihrer Gesamtheit zu erfassen und kontinuierlich zu überwachen. Als Wearable ist das Überwachungstool mit miniaturisierten elektrochemischen Sensoren ausgestattet und flexibel einsetzbar.

»Menschen, die großen Stress empfinden, neigen häufig dazu, vermehrt zu schwitzen. Schweiß enthält das Stresshormon Cortisol, das sich über die Haut messen lässt. Die Cortisolwerte ließen sich mithilfe unseres Wearables, das Nutzerinnen und Nutzer nah am Körper tragen, permanent überwachen. Die Erfassung und Auswertung weiterer physiologischer Gesundheitsparameter, wie beispielsweise Herzfrequenz und Atmung, könnten anschließend nicht nur Hinweise auf dauerhaften negativen und chronischen Stress geben, sondern ein ganzheitliches Bild über den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten liefern. Damit könnte eine umfassende Diagnostik wirkungsvoll unterstützt werden«, fasst Mario Baum zusammen.

Besonders interessant sei dies, so der Wissenschaftler, im Bereich der Gendermedizin. »Nicht nur, dass die Geschlechter Stress ganz verschieden wahrnehmen, Frauen und Männer reagieren auch unterschiedlich auf Stress. So schütten Frauen wie Männer in stressigen Situationen zwar das Stresshormon Cortisol aus, allerdings steigt der Cortisolspiegel im Blut bei Männern viel stärker an als bei Frauen. Zudem schütten Frauen in Stresssituationen vermehrt das Hormon Progesteron, Männer hingegen Testosteron aus, was die Reaktion auf Stress und die Bewältigung der Stresssituation beeinflussen kann. Eine umfassende Diagnostik, die diese verschiedenen Stressparameter berücksichtigt und in ein ganzheitliches Gesundheitsbild einordnet, könnte zu eindeutigeren Befunden führen und damit letztendlich zu einer patientenindividuellen Therapie.«

 

Herzstück der »Stressmesser«: Kohlenstoffnanoröhren in Biosensorik detektieren Zielmoleküle

Zentrale Schlüsseltechnologie der Fraunhofer-»Stresssensorik« sind Kohlenstoffnanoröhren (Carbon Nanotubes, CNT), die als vielseitiger und leistungsstarker Materialbaustein in Elektronikdesigns der nächsten Generation Einsatz finden. Biosensoren, die auf diesen dünnen halbleitenden funktionellen Nanoschichten basieren, zeichnen sich durch eine herausragende Sensitivität aus. Diese Eigenschaft CNT-basierter Sensoren ermöglicht es, selbst kleinste Mengen biologischer und chemischer Analyten, wie Biomarker, zuverlässig und schnell zu erkennen. Da sie die Realisierung hochminiaturisierter Sensoren ermöglichen, die nur wenig Platz benötigen, eignen sie sich ideal für leichte, tragbare und mobil einsetzbare Point-of-Care-Technologien, wie Wearables zur Gesundheitsüberwachung.

»Damit Sensoren auf Basis von CNTs das Hormonmolekül Cortisol detektieren können, müssen wir sie funktionalisieren. Dies geschieht mithilfe von Fängermolekülen, den sogenannten Aptameren, die auf der Sensoroberfläche immobilisiert werden. Diese speziellen DNA-Moleküle werden gefaltet und bilden eine Art ›Andockstelle‹. Nur die spezifischen, zu detektierenden Zielmoleküle passen an diese Andockstelle und binden an das Aptamer an. Dieses ›Bindungsevent‹ wird durch einen CNT-basierten Feldeffekttransistor (FET) in ein elektrisches Ausgangssignal umgewandelt, was in Echtzeit gemessen und ausgewertet werden kann. So lässt sich ein Übermaß an Cortisol nachweisen«, erläutert Andreas Morschhauser, stellvertretender Leiter der Abteilung »Health Systems«, die Vorteile von CNT-basierten Sensoren, die am Fraunhofer ENAS erforscht und entwickelt werden.

Eine weitere Besonderheit von Biosensoren, die auf CNTs beruhen, liegt in ihrer Fähigkeit, die zu identifizierenden Zielmoleküle markierungsfrei aufzuspüren. »Damit entfallen zeit- und kostenaufwändige Zwischenschritte für die Probenvorbereitung, um Zielmoleküle beispielsweise mithilfe von Fluorophoren, das heißt Fluoreszenzfarbstoffen, zu markieren. Der Nachweis der zu detektierenden Moleküle kann damit deutlich schneller als bisher erfolgen«, so der Wissenschaftler.

Integriert in mikrofluidische Kartuschen können CNT-basierte Sensoren nicht nur für Point-of-Care-Anwendungen (PoC) zur patientennahen Schnelldiagnostik, sondern auch im Bereich der Veterinärmedizin eingesetzt werden.

 

Stress im Stall: Gefährdung des Tierwohls durch ein Übermaß an Stress

Nicht nur der Mensch kann Stress empfinden, auch Tiere nehmen Stress wahr, der durch unterschiedliche Stressoren ausgelöst werden kann. Diese sind sowohl auf soziale Faktoren zurückzuführen, beispielsweise Rangordnungskämpfe in einer Herde, als auch auf äußere Reize, wie Futterumstellungen oder permanenter Lärm und Hitze. »In diesen Stresssituationen schüttet ihr Körper ebenfalls Stresshormone wie Cortisol aus, was zu körperlichen Einschränkungen, wie vermehrten Infekten und Verdauungsproblemen, oder zu Verhaltensauffälligkeiten, beispielsweise verändertem Fress- und Putzverhalten, Aggressionen oder Flucht, führen kann«, erläutert Andreas Morschhauser.

Kühe beispielsweise reagieren auf Stress sehr sensibel, unter anderem mit einer verminderten Produktivität, wodurch ihre Milchleistung sinken kann. Tragbare mikrofluidische Systeme mit CNT-basierten Biosensoren könnten im Zusammenspiel mit weiteren Sensoren Landwirtinnen und Landwirten dabei helfen, das Stresslevel ihrer Tiere zu kontrollieren, frühzeitig zu intervenieren und für mehr Tierwohl zu sorgen.

Stressreaktionen von Tieren sind jedoch nicht nur problematisch für die Tiere selbst und deren Gesundheit, sondern auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Menschen. Denn Stress, vor allem bei Nutztieren, kann das menschliche Wohl ebenfalls beeinflussen. »Ein zu hoher Cortisolspiegel im Blut entsteht bei Tieren durch Stress bei der Schlachtung. Dieser kann die Fleischqualität negativ beeinflussen und Auswirkungen auf den Menschen haben. Das ausgeschüttete Stresshormon Cortisol wird im Fleisch gespeichert und von Verbraucherinnen und Verbrauchern über die Nahrung aufgenommen. Dies kann unter anderem Entzündungsprozesse im Körper oder ein geschwächtes Immunsystem begünstigen«, führt der Fraunhofer-Forschende Andreas Morschhauser aus.

 

Weniger Stress für Mensch und Tier: Multi-Sensorik erhöht Lebensqualität und Tiergesundheit

Neben der wirksamen Erkennung von Stresssignalen bei Mensch und Tier, geht die moderne Wissenschaft noch einen Schritt weiter: Ziel ist es, Stress in Zukunft nicht nur zu identifizieren, sondern auf ein Minimum zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Dabei hat sie vor allem Krebspatientinnen und -patienten im Blick. Sie sollen mit einer auf sie zugeschnittenen personalisierten Schmerz- und Chemotherapie, die mit weniger Stress für den Körper verbunden ist, in Zukunft besser unterstützt werden. Zugleich sollen Tierversuche für die Erforschung wirksamer Krebstherapeutika gänzlich vermieden werden.

»Stress kann nicht nur körperliche und psychische Erkrankungen entstehen lassen, sondern eine diagnostizierte lebensbedrohliche Krankheit kann ebenso Auslöser für vermehrtes Stressempfinden sein. Vor allem Krebserkrankungen stellen eine enorme Belastungssituation für Betroffene dar, die nicht nur mit Ängsten und Sorgen verbunden ist. Eine medikamentöse Therapie versetzt den ohnehin geschwächten Körper zusätzlich unter zusätzlichen Stress, da nicht nur Tumorzellen, sondern auch gesunde Zellen angegriffen werden. Häufig ist bei Beginn der Behandlung jedoch ungewiss, ob die Chemotherapie anschlägt und Krebszellen wirksam bekämpft«, so Mario Baum.

Hier setzen Forschende aus Sachsen an und bündeln ihre Stärken: Zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie IZI aus Leipzig arbeiten die Chemnitzer Forschenden an einem auf einer Multi-Sensorik beruhenden Organ-on-Chip-Modell (OoC), welches die Struktur und Funktion menschlicher Organe mithilfe von Zellkulturen realitätsnah miniaturisiert abbildet und simuliert. Mario Baum und sein Team entwickeln hierfür hochempfindliche Sensoren, welche das Herzstück des OoC-Modells bilden.

»Die Idee einer solchen zellbasierten Diagnostik und Medizin im Bereich der Onkologie ist, dass betroffenen Patientinnen und Patienten Krebszellen entnommen werden, die mithilfe eines OoC-Modells in einer mikrofluidischen Umgebung kultiviert werden. Durch die Zugabe von Krebsmedikamenten werden die Zellen sozusagen unter Stress gesetzt und ihre Reaktion auf das Therapeutikum untersucht. So lässt sich die Wirksamkeit von Arzneimitteln patientenindividuell und auf zellulärer Ebene kontinuierlich und in Echtzeit beobachten und vor Beginn der Therapie vorhersagen. Damit kann sichergestellt werden, dass Betroffenen später nur Medikamente verabreicht werden, die sich im künstlichen Modell als individuell wirksam erwiesen haben. Das reduziert den Stress für Patientinnen und Patienten erheblich. Gleichzeitig wird tierisches Leid durch Tierversuche zur Medikamentenforschung vermieden«, erläutert der Wissenschaftler.

Die Sensorlösungen des Fraunhofer ENAS zur Messung von Stress auf zellulärer Ebene ließen sich aber nicht nur im Rahmen der personalisierten Medizin einsetzen. Auch die Nebenwirkungen von Medikamenten könnten auf diese Weise besser erforscht oder die Reaktion von Zellen auf Infektionen mit Krankheitserregern simuliert werden.

 

Smart ist Trumpf: Innovations- und Technologiepartner für moderne Healthcare- und Life Science-Anwendungen

Die smarten Sensoren des Fraunhofer ENAS verbinden anspruchsvolle Mikrosystemtechnik mit Nanotechnologien und eröffnen neue Wege in der Human- und Veterinärdiagnostik. Darüber hinaus sind aber auch ideal im Bereich der Lebensmittelqualität und -sicherheit sowie in der Umweltanalytik geeignet.

Hochempfindliche Multi-Sensorlösungen, mikrofluidische Lab-on-Chip- und Organ-on-Chip-Systeme sowie Point-of-Care-Ansätze sind das Ergebnis der jahrzehntelangen Expertise in der Entwicklung von Gesundheits- und Life-Science-Technologien am Fraunhofer ENAS. Als effiziente Schlüsselkomponenten der modernen Diagnostik und Analytik ermöglichen sie die Messung einer Vielzahl chemischer und biochemischer Parameter mit höchster Präzision und Geschwindigkeit, sowohl in stationären als auch in mobilen Anwendungsszenarien.

Wenn auch Sie erfahren möchten, wie das Fraunhofer ENAS neue Impulse für die Gesundheitstechnologien von morgen setzt, um die Gesundheit von Mensch und Tier in einer gesunden Umwelt in Einklang zu bringen, dann kontaktieren Sie uns noch heute.

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