In Elektronik vertrauen: Mit smarten Rechenmodellen zuverlässig und sicher ans Ziel

Ob im Arbeitsalltag oder auf Urlaubsreisen – das Auto zählt nach wie vor zu einem der beliebtesten Verkehrsmittel, um schnell, flexibel und bequem von einem Ort zum anderen zu kommen. Fällt jedoch ein elektronisches oder sicherheitsrelevantes Bauteil durch Verschleiß, Materialermüdung oder Alterungserscheinung aus, ist oft guter Rat teuer: Das Fahrzeug bleibt im Straßenverkehr liegen und anstatt eines idyllischen Ferienortes lautet die nächste Zieladresse Kfz-Werkstatt. Muss ein Ersatzteil bestellt werden, können mitunter mehrere Tage vergehen, bis der Schaden behoben und die Fahrt fortgesetzt werden kann. Doch wie lassen sich solche unerwarteten Situationen besser und vor allem vorausschauend kalkulieren oder gar vermeiden und damit die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen? Im Projekt »Trust-E« haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Industriepartnern die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit von Elektronik in den Blick genommen. Im Interview erklärt Dr. Jan Albrecht, Leiter der Gruppe »Komponentenzuverlässigkeit« und Teilprojektleiter im Projekt »Trust-E« am Fraunhofer ENAS, welche Antwort die Forschung auf diese Frage geben kann.

Herr Albrecht, können Sie erklären, was »Vertrauenswürdigkeit in der Elektronik« bedeutet?

Elektronik und Mikroelektronik spielen heute in nahezu jedem unserer Lebensbereiche eine essentielle Rolle. Als Schlüsseltechnologien sind sie elementare Bestandteile moderner Mobilität, sicherer Energieversorgung oder industrieller Fertigungsprozesse – um nur einige Beispiele zu nennen. Vertrauenswürdig ist Elektronik aber nur dann, wenn sie ihre Funktion genau so erfüllt, wie sie von Entwicklerinnen und Entwicklern gedacht und designt wurde – und dies über eine lange Zeit. Nutzerinnen und Nutzer müssen sich jederzeit auf sie verlassen können. Nur, wenn elektronische Komponenten und Systeme als Herzstücke moderner Fahrzeuge oder industrieller Anlagen akkurat und stabil arbeiten, kann Sicherheit im Straßenverkehr oder in Fertigungsprozessen gewährleistet werden. Wenn Elektronik also zuverlässig und sicher funktioniert, ist sie auch vertrauenswürdig.

Im Projekt »Trust-E«, das im Juni 2024 erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnte, hat sich das Fraunhofer ENAS gemeinsam mit anderen Forschungspartnern genau diesem Thema, nämlich dem Vertrauen in Elektronik, angenommen. Welches Ziel hatte das Projektteam dabei im Blick?

Ziel des dreijährigen Projektes »Trust-E« war es, die Vertrauenswürdigkeit in elektronische Systeme zu stärken. Dazu wurden Methoden und Prozesse für elektronische Komponenten, Module und Systeme entwickelt, um diese in Zukunft deutlich sicherer und zuverlässiger zu machen.

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit als Fraunhofer ENAS und unserer Partner im Projekt bildete die Bewertung der Lebensdauer von Leistungselektronik, die unter anderem in elektrischen Antrieben von E-Fahrzeugen sowie in industriellen Anlagen zum Einsatz kommt. Eine wesentliche Forschungsfrage, die uns dabei interessiert hat, war, wie sich der Gesundheitszustand von Elektronik in Echtzeit bestimmen und daraus die weitere Lebensdauer von elektronischen Komponenten und damit ganzen Bauteilen abschätzen lässt. Außerdem haben wir untersucht, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Lebensdauer von Elektronik zu verlängern, so dass Anwenderinnen und Anwender auf die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems vertrauen können und nicht gefährdet werden.

Können Sie an einem Beispiel beschreiben, welche Auswirkungen die Beantwortung dieser Forschungsfragen auf den Alltag von Nutzerinnen und Nutzern in Zukunft haben könnte?

Elektronik muss hierfür »smart« werden. Das heißt, sie muss in der Lage sein, Selbstdiagnosen stellen und sich selbst überwachen zu können. Sie muss also selbständig merken, dass ein elektronisches Bauteil mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen, zum Beispiel infolge von Materialermüdung, ausfallen wird.

Am Beispiel des Autofahrens bedeutet das, dass die Leistung des Fahrzeugs basierend auf dieser Information automatisch so weit gedrosselt wird, dass es nicht auf offener Strecke liegenbleibt, sondern sicher das Ziel oder die nächstgelegene Werkstatt erreicht. Zudem kann durch diese frühzeitige Information des Systems, eine Wartung oder Reparatur initiiert werden, noch bevor eine kritische Situation eintritt und es zu einem Defekt oder einem unerwarteten Ausfall kommt.

Mit Blick in die Zukunft ermöglicht der Einsatz von Selbstdiagnosen im Bereich der Elektronik, dass nicht nur ein drohender Ausfall der Elektronik frühzeitig erkannt wird, sondern Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensdauer unmittelbar eingeleitet werden können.

Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Elektronik spielt aber auch im Bereich des autonomen Fahrens eine bedeutende Rolle, weil die Sicherheit der Insassen von richtigen und sicheren Entscheidungen der Bordelektronik entscheidend abhängt.

Wenn Forschung und Industrie für mehr Sicherheit und Zuverlässigkeit durch technologische Lösungen sorgen, wird dies das Vertrauen und die Akzeptanz von Nutzerinnen und Nutzern in neue Technologien perspektivisch enorm stärken.

Vertrauenswürdigkeit in elektronische Komponenten und Systeme ist aber nicht nur für Automotive-Anwendungen interessant. In welchen Einsatzszenarien muss Elektronik darüber hinaus zuverlässig und sicher funktionieren?

Dass elektronische Module und ganze Systeme lange zuverlässig arbeiten, ist für nahezu alle Anwendungen unseres Lebens wichtig und hochspannend. Neben dem Automobilbereich, ergeben sich auch wertvolle Anwendungsfelder für die Industrie, so zum Beispiel im maritimen Bereich, in der Luftfahrt oder im Energiesektor. In all diesen Szenarien kommt Elektronik zum Einsatz, deren einwandfreies Funktionieren für einen effizienten Betrieb oder die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine unerlässlich und sicherheitsrelevant ist.

Elektronik wird vertrauenswürdig, wenn sie »gesund«, also funktionsfähig ist. Wie lässt sich der Gesundheitszustand von Elektronik erfassen, um in deren Sicherheit und Zuverlässigkeit zukünftig noch besser vertrauen zu können?

Als Forschungsinstitut verfügen wir als Fraunhofer ENAS über langjährige Erfahrung in der Lebensdauerbestimmung von Mikro- und Nanosystemen, die wir in das Projekt »Trust-E« eingebracht haben. Basierend auf dieser Expertise haben wir im Projekt smarte physikbasierte Modelle entwickelt, die das physikalische Verhalten von elektronischen Komponenten abbilden, deren Alter beschreiben und so ihre Lebensdauer und ihren Gesundheitszustand in Echtzeit präzise prognostizieren können. Diese Modelle bilden das elektrische, thermische und mechanische Verhalten ab. Das bedeutet, dass beim elektrischen Betrieb immer ein Teil der Energie als thermischer Verlust in das System eingeht, wodurch es zur Wärmeentwicklung kommt, die zu einer thermo-mechanischen Beanspruchung des Systems führen kann. Diese Beanspruchung führt wiederum zu Werkstoffermüdung, Rissen und Brüchen, die den Funktionsausfall einzelner Komponenten oder aber des ganzen Systems zur Folge haben kann.

Das Besondere an den von uns entwickelten Frühwarnmodellen ist, dass sie ultraschnell arbeiten und zusätzlich physikalische Vorgänge berücksichtigen. Ihre Rechenzeit konnten wir im Vergleich zu etablierten numerischen Lebensdauermodellen von bisher mehreren Tagen auf nunmehr wenige Sekunden reduzieren. Außerdem konnten wir ihre Datengröße von mehreren Gigabyte auf wenige Kilobyte verringern. Das ermöglicht es uns, unsere Modelle von großen Rechenclustern auf äußerst kleine Microcontroller zu transferieren, wodurch sie in unmittelbarer Nähe kleinster elektronischer Bauteile eingesetzt werden können. Dadurch kann der Gesundheitszustand des Systems direkt »am Ort des Geschehens« erfasst und kontinuierlich bewertet werden. In Bezug auf den Straßenverkehr würden Pannen auf der Landstraße damit in Zukunft der Vergangenheit angehören.

Vielen Dank, Herr Albrecht, für dieses Gespräch.

 

Veröffentlichungen:

T. D. Horn, J. Albrecht, and S. Rzepka, Influence of Reducing the Load Level of Mission Profiles on the Remaining Useful Life of a TO220 Analyzed with a Surrogate Model, PHME_CONF, vol. 8, no. 1, p. 6, Jun. 2024.

J. Albrecht, T. Horn, S. Habenicht and S. Rzepka, Mission Profile related Design for Reliability for Power Electronics based on Finite Element Simulation, 2023 IEEE 25th Electronics Packaging Technology Conference (EPTC), Singapore, 2023, pp. 722-726.

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Abschlusstreffen des »Trust-E«-Projektkonsortiums in Stockholm, Schweden.

Das Projekt »Trust-E« wurde mit Unterstützung der EUREKA-Programme »PENTA« und »EURIPIDES« durchgeführt. Die deutschen Partner wurden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 16ME0320K-16ME0329 gefördert.

 

Wenn Sie mehr über Methoden der Zuverlässigkeitsbewertung im Bereich der Elektronik am Fraunhofer erfahren wollen, dann finden Sie hier weitere Informationen.

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