Mit Künstlicher Intelligenz Tumore aufspüren: Fraunhofer ENAS und Klinikum Chemnitz gGmbH forschen an neuen Methoden für die moderne Krebsdiagnostik

Krebs gilt noch immer als eine der häufigsten Todesursachen weltweit. [1] Laut Prognosen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte die Zahl der Krebserkrankungen bis zum Jahr 2050 rasant ansteigen und um mehr als 70 Prozent jährlich zunehmen. [2] Eine frühzeitige Diagnose sowie geeignete und individuelle Therapiemaßnahmen sind entscheidend, um die Heilungschancen betroffener Patientinnen und Patienten zu erhöhen. Dieses Ziel wird im Rahmen einer engen Kooperation aus medizintechnischer Forschung und klinischer Anwendung in Chemnitz vorangebracht: Das Fraunhofer ENAS und die Klinikum Chemnitz gGmbH werden gemeinsam dank Künstlicher Intelligenz (KI) die Früherkennung von Krebs deutlich beschleunigen und so operative Eingriffe zukünftig auf ein Minimum reduzieren.

© Klinikum Chemnitz gGmbH
PD Dr. Dieter Fedders (Chefarzt der diagnostischen und interventionellen Radiologie am Institut für Radiologie und Neuroradiologie des Klinikums Chemnitz), Dr. Mario Baum (Leiter der Abteilung »Health Systems« am Fraunhofer ENAS) und Domenic Buder (wissenschaftliche Hilfskraft in der Abteilung »Health Systems« am Fraunhofer ENAS)
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Im Bereich der Radiologie werden die beiden Partner medizinische Phantome entwickeln, die dabei helfen werden, das menschliche Gefäßsystem und die Ausbreitung von Kontrastmitteln künstlich zu simulieren.
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Gemeinsam werden das Fraunhofer ENAS und die Klinikum Chemnitz gGmbH durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Früherkennung von Krebs deutlich voranbringen, was operative Eingriffe oder Biopsien zukünftig reduziert.

»Liegt ein anfänglicher Verdacht auf eine Krebserkrankung vor, kommen häufig bildgebende radiologische Untersuchungsverfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder die Computertomografie (CT) zum Einsatz. Endgültige Gewissheit, ob es sich bei auffälligen Veränderungen tatsächlich um einen bösartigen Tumor handelt, kann derzeit nur eine anschließende Biopsie bringen. Bei dieser wird eine Gewebeprobe des betroffenen Areals entnommen und histopathologisch im Labor untersucht. Auf diese Weise kann der medizinische Verdacht weiter abgeklärt, bestätigt und letztlich eine geeignete Therapieentscheidung getroffen werden«, erklärt PD Dr. med. habil. Dieter Fedders, Chefarzt der diagnostischen und interventionellen Radiologie am Klinikum Chemnitz.

Biopsien sind jedoch nicht nur für das Gesundheitswesen zeit- und ressourcenintensiv, sondern stellen auch für betroffene Patientinnen und Patienten einen unangenehmen Eingriff dar, der mit Unsicherheiten behaftet ist. So bedeutet die Zeit des Wartens auf einen gesicherten Befund von mehreren Tagen auch eine enorme psychische Belastung.

Um diese Zeit des Wartens zu verkürzen und unnötige Biopsien im Interesse der Patienten sowie für den Gesundheitssektor auf ein Minimum zu reduzieren, bündeln das Fraunhofer ENAS und das Klinikum Chemnitz ihre Stärken: In engem Schulterschluss werden sie die radiologische Bildgebung mit KI-Methoden verzahnen und so die individualisierte Diagnostik von Krebserkrankungen voranbringen.

 

Mit »Radiomics« Krebs auf der Spur

Bildgebende Verfahren sind in der heutigen Tumordiagnostik unverzichtbar. Sie sind geeignet, verdächtige Gewebeveränderungen sichtbar zu machen und ernstzunehmende Erkrankungen mit hoher Genauigkeit offenzulegen. Hierzu bedarf es allerdings gut ausgebildeter Medizinerinnen und Mediziner, die über ein geschultes Auge und langjährige Erfahrung verfügen, um auf radiologischen Bildern Hinweise auf Erkrankungen zu identifizieren. Feinste Veränderungen, die sich nur marginal vom umliegenden und möglicherweise gesunden Gewebe abgrenzen, sind jedoch auch für die erfahrensten Radiologinnen und Radiologen häufig schwer zu erkennen.

Clevere Algorithmen bieten das Potential, die Diagnostik wirkungsvoll im Sinne einer Zweitmeinung zu stützen: Etablierte KI-basierte Methoden erlauben, riesige Datenmengen zu analysieren und darin Muster zu erkennen. Gegenwärtig werden dabei jedoch häufig lediglich Bilddaten ausgewertet, während weitere Parameter, wie beispielsweise Patienten- und Labordaten, nicht einbezogen werden.

Diese Lücke versucht die »Radiomics«-Methode, eine Wortkombination aus »Radiology« (Radiologie) und »Genomics« (Genomik), zu schließen. Dabei werden aus radiologischen Befunden, wie CT- oder MRT-Aufnahmen, detaillierte Bildmerkmale, zum Beispiel Textur-, Form- und Intensitätsmerkmale, von Tumoren extrahiert. Über einen Abgleich mit labormedizinischen Ergebnissen und deren molekularen oder genetischen Informationen lässt sich eine Diagnose sicherer und nicht-invasiv stellen. Die Verknüpfung aller verfügbaren Informationen ermöglicht es, bösartige von gutartigen Strukturen präzise zu unterscheiden und somit die Genauigkeit und Zuverlässigkeit von Diagnosen zu verbessern – und das ganz ohne einen operativen Eingriff oder eine Biopsie.

»Als Fraunhofer ENAS verfügen wir über umfangreiche Erfahrungen in der Entwicklung ausgeklügelter Methoden des maschinellen Lernens und von KI-Modellen. Der Einsatz von mathematischen Verfahren in der radiologischen Bildgebung kann Medizinerinnen und Mediziner zwar nicht ersetzen, sie jedoch in ihrer Urteilsfindung schnell und äußerst patientenschonend unterstützen«, erklärt Dr. Mario Baum, Leiter der Abteilung »Health Systems« am Fraunhofer ENAS, der die Kooperation mit dem Klinikum Chemnitz initiierte.

Darüber hinaus lassen sich mithilfe der »Radiomics«-Methode auch Behandlungsergebnisse vorhersagen, welche zur Planung personalisierter Therapien eingesetzt werden können. »Die Analyse von Bilddaten in Kombination mit soziologischen Parametern, beispielsweise Alter, Geschlecht und Wohnort, sowie klinischen Werten, wie Vorerkrankungen und Überlebenszeit, kann Aufschluss darüber geben, wie gut eine Patientin beziehungsweise ein Patient auf bestimmte Behandlungen ansprechen könnte. Basierend auf diesen Informationen können maßgeschneiderte Therapiepläne in der personalisierten Medizin aufgestellt werden, die optimal auf die Patienten zugeschnitten sind und den Behandlungserfolg verbessern«, ist PD Dr. med. habil. Dieter Fedders überzeugt.

Die Reduktion der Daten auf diejenigen Parameter, die tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf oder die Therapieprognose haben, die sogenannte Dimensionsreduktion, sowie die Bewertung der Interpretierbarkeit der Ergebnisse ist eine der zentralen Forschungsfragen, mit denen sich die Forschenden im Rahmen der Zusammenarbeit beschäftigen werden.

Neben der Identifikation von Krebserkrankungen, wie beispielsweise Lungen- oder Brustkrebs, versprechen sich Medizinerinnen und Mediziner sowie Forschende in Zukunft auch anderen Gewebeerkrankungen mittels »Radiomics« schneller auf die Spur zu kommen. So sollen auch Lungenembolien, bei denen Gefäße in der Lunge lebensbedrohlich »verstopfen« können, noch einfacher erkannt werden.

 

Medizinische Phantome optimieren Bildgebungsverfahren

Eine zweite Säule der Zusammenarbeit der beiden Chemnitzer Einrichtungen im Bereich der Radiologie bildet die Entwicklung von medizinischen Phantomen. Diese Ersatzmodelle ahmen die menschliche Anatomie künstlich nach und erleichtern Ärztinnen und Ärzten, bildgebende Verfahren ohne lebendende Modelle unter realistischen Bedingungen zu simulieren, bevor eine medizintechnische Zulassung und damit ein Einsatz am Menschen erfolgt.

Das Fraunhofer ENAS arbeitet gemeinsam mit dem Klinikum Chemnitz an einem solchen dynamischen Testphantom für die Computertomographie (CT), um physiologische Vorgänge im menschlichen Körper, wie die Blutzirkulation, zu simulieren.

Damit beispielsweise Gefäßerkrankungen auf CT-Bildern noch präziser und aussagekräftiger dargestellt werden können, wird Patientinnen und Patienten häufig ein Kontrastmittel vor der Untersuchung verabreicht. Um dieses möglichst optimal dosiert und patientenschonend zu injizieren, soll ein Phantom entstehen, das das menschliche Gefäßsystem und die Ausbreitung des Kontrastmittels künstlich nachahmt. Das Fraunhofer ENAS bringt dabei sein Know-how im Bereich der prototypischen Fertigung mikrofluidischer und fluidischer Systeme sowie in deren Design, Realisierung und Charakterisierung in das Vorhaben ein. Zudem soll mit Hilfe von integrierten Sensoren sowohl der Fluss der Blutersatzflüssigkeit und des Kontrastmittels als auch der Druck im Phantom gemessen werden. Mit den Ergebnissen aus der Zusammenarbeit sollen Medizinerinnen und Medizinern modellbasierte Daten für die Optimierung der Behandlung und einer Reduzierung des Kontrastmittels zukünftig zur Verfügung stehen.

»Die enge Kooperation mit dem Klinikum in Chemnitz ermöglicht es uns, smarte Lösungen zu entwickeln, die direkt am Bedarf der Medizin ausgerichtet sind. Unsere Technologien erfüllen damit die konkreten Anforderungen aus der Praxis und werden in Zukunft Patientinnen und Patienten am Krankenbett zugutekommen und zu mehr Lebensqualität beitragen. Indem schon frühzeitig gutartiges und bösartiges Gewebe zuverlässig identifiziert werden kann, können Therapien unmittelbar und maßgeschneidert im Sinne einer personalisierten Medizin initiiert werden. Mit dem Klinikum Chemnitz haben wir einen starken Partner aus der Region an unserer Seite, um gemeinsam einen Meilenstein in der modernen Diagnostik zu erreichen«, ist der Fraunhofer-Wissenschaftler überzeugt.

 

Nachwuchsförderung im Blick

Darüber hinaus ist es ein zentrales Anliegen beider Einrichtungen, im Bereich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Zukunft eng zusammenzuarbeiten. So sollen Studierende die Möglichkeit erhalten, während ihres Studiums praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der medizintechnischen und klinischen Forschung zu sammeln oder im Rahmen ihrer Abschlussarbeit am Klinikum Chemnitz und Fraunhofer ENAS forschend tätig zu werden.

Wenn auch Sie medizintechnische Herausforderungen gemeinsam mit uns lösen wollen, dann nutzen Sie die Chance, noch heute mit uns Kontakt aufzunehmen.

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