Lebensdauerbestimmung von Mikro- und Nanosystemen

Eine sachkundige Prognose der Zuverlässigkeit von Gesamtsystemen der Mikro- und Nanosystemtechnik kann zeitaufwendige Iterationen im Aufbau von elektrischen Systemen vermeiden und innerhalb der Entwicklungsphase eventuell vorhandene Schwachstellen aufzeigen. Das Abschätzen der charakteristischen System-Lebensdauer aus dem Zuverlässigkeitsverhalten der kritischen Komponenten des Systems macht dies möglich. Das Prüfen des Komponentenverhaltens unter systemrelevanten Bedingungen liefert dazu die erforderlichen Informationen, welche nachfolgend geeignet verknüpft und bewertet werden.

Die Arbeitsgruppe 'Lebensdauerbestimmung' widmet sich dieser Forschungsaufgabe durch experimentell dominierte Lösungsstrategien. Basierend auf mehr als 25 Jahren Erfahrung im Prüfen der thermo-mechanischen Zuverlässigkeit elektronischer Komponenten und Systeme erforschen wir in enger Kooperation mit zahlreichen Partnern aus der Industrie neue Methoden für die

  • beschleunigte Prüfung der thermo-mechanischen Zuverlässigkeit für neue Technologien (z.B. SiC- & GaN-Bauelemente, Ag- & Cu-Sintern)
  • multimodale Belastung (passive und aktive Temperaturwechsel, Temperaturwechsel und Vibration, Feuchteeinfluss) zur realitätskonformen Ermittlung der Komponenten-Lebensdauer für die neuen Anwendungen mit komplexen Beanspruchungsprofil (Elektromobilität, automatisches Fahren, Industrie 4.0, Smart Grid, Smart City, etc.)

Auf dem Gebiet der Lebensdauermodellierung leisten wir Beiträge zur Erweiterung der Methodik für

  • das Bestimmen von Beschleunigungsfaktoren zwischen verschiedenen Lebensdauertests sowie gegenüber dem Betriebsverhalten
  • die Aggregation und die summarische Bewertung der Zuverlässigkeit unter Realbedingungen, d.h. bei sehr unterschiedlichen Belastungen
  • das Abschätzen der Systemzuverlässigkeit aus dem Verhalten der Einzelkomponenten unter Einbeziehung irreversibler Ausfallmechanismen

Durch die analytische Prüfung und Charakterisierung (Gruppe Analytik und Charakterisierung) realer Komponenten im Zusammenhang mit der Lebensdauerbestimmung können die Degradationsvorgänge phänomenologisch aufgeklärt und quantitativ präzise analysiert werden. Sie bildet somit das Fundament für die Arbeiten zur Modellierung und Simulation. 

Forschungsschwerpunkte

Temperatur-Zeit-Verlauf
Sperrschichttemperaturprofil (beispielhaft) während eines aktiven Lastwechseltests
Typische, durch aktive Lastwechsel hervorgerufene, Fehlermechanismen: Bonddrahtabrisse (links) sowie Degradation der Chipkontaktierung (rechts)

Lastwechseltests spielen sowohl in der Forschung als auch in der Entwicklung eine wesentliche Rolle bei der Zuverlässigkeits- und Qualitätsbewertung von Leistungskomponenten und Modulen. Das Grundprinzip besteht darin, die Prüflinge mit zyklischen Laststromimpulsen zu beaufschlagen. Die sich dabei einstellende Temperaturverteilung sowie die sich daraus ergebenden thermo-mechanischen Belastungen kommen den realen Betriebsbedingungen sehr nahe und erlauben somit eine beschleunigte Lebensdauerprüfung.

Ein beispielhaftes Temperaturprofil während eines Lastwechseltests ist in Bild 1 dargestellt. Im Unterschied zu passiven Temperaturwechseltests können die Temperaturzielwerte, d.h. die maximale Sperrschichttemperatur Tj,max sowie der Temperaturhub ∆Tj, nur indirekt über Parameter wie Laststrom IL, Heizdauer ton, Kühlkörpertemperatur Th sowie Probenfixierung (z.B. Auswahl des Thermisches Interfacematerials) eingestellt werden.

Typischerweise werden Lastwechseltests in zwei Untertypen klassifiziert – Lastwechseltests mit kurzen Heizzeiten (z.B. < 5s) sowie Lastwechseltests mit langen Heizzeiten (> 15s). Während erstere insbesondere die chip-nahe Aufbau- und Verbindungstechnik, d.h. die Chipoberseiten- (z.B. Bonddrähte) sowie die Chipunterseitenkontaktierung (z.B. Chiplot) beanspruchen, wird bei letzterer der gesamte Prüfling stärker durchwärmt, wodurch zusätzlich auch weiter entfernt liegende Verbindungselemente, beispielsweise die Systemlötung von Leistungsmodulen, thermo-mechanisch beansprucht wird (Bild 2).

Aktuelle Forschungsaktivitäten zielen darauf ab, diese Methodik weiter zu entwickeln und zu verbessern - beispielsweise indem die aktiven Lastwechseltests mit passiven Temperaturwechsel überlagert werden, was den realen Feldbedingungen noch näher kommt. Des Weiteren muss diese Methodik, insbesondere die zur Bestimmung der virtuellen Sperrschichttemperatur betreffend, für neue WBG[LU1] -Leistungshalbleiter (SiC, GaN) adaptiert werden.

 

Kombination von Power Cycling und passiven Temperaturwechseln

 

Tests an neuartigen Modulaufbauten und -technologien

Kombination unterschiedlicher Belastungsfaktoren

Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Robustheit elektronischer Systeme wachsen stetig. Dies ist zum einem dadurch bedingt, dass, wie beispielsweise im Automobilbereich, elektronische Steuermodule immer näher an die jeweiligen Aggregate appliziert werden, wodurch thermische (z.B. beim Verbrennungsmotor, E-Motor, Leistungselektronik,…), aber auch mechanische Belastungen (z.B. beim Getriebe) zunehmen. Zum anderem werden auch die Lebensdaueranforderungen an diese Systeme immer weiter verschärft. So müssen mittlerweile Teile der Elektronik selbst während der Standzeit des Fahrzeugs aktiv in Betrieb bleiben (z.B. bei Ladevorgängen im Fall von 'Vehicle-to-Grid' Konzepten), oder aber die aktive Betriebszeit (Fahrzeit) selbst erhöht sich drastisch, wie es bei neuen Carsharing-Konzepten zu erwarten ist. Dies erhöht insbesondere die Anforderungen an die Betriebsstunden der elektronischen Komponenten und Systeme massiv. Daher ist es notwendig, Zuverlässigkeitsaspekte schon möglichst zeitig in das Design neuer elektronischer Produkte mit einzubeziehen. Dies geschieht zum einem durch die numerische Simulation, zum anderen sind aber für Kalibrierungs- und Validierungszwecke auch experimentelle Zuverlässigkeitstests notwendig. Stand der Technik ist es, Einzelbelastungstests, wie beispielsweise reine Temperaturschocktests oder Vibrationstests, durchzuführen. Allerdings sind diese Tests sehr zeitaufwendig, insbesondere bei einer sequentiellen Durchführung verschiedener Belastungstests, und spiegeln zudem nur ungenügend die realen Belastungsszenarien wieder.

Eine potentielle und vielversprechende Alternative stellen kombinierte Belastungstests dar, wobei mehrere Stressfaktoren simultan auf die Testproben appliziert werden (Bild 1). Diese Tests können nicht nur die Realität besser abbilden und dadurch realistischere Fehlermechanismen provozieren, sondern sie bieten auch die Möglichkeit kostspielige Testzeiten erheblich zu reduzieren. Hierzu gehören beispielsweise Temperaturwechseltests, in denen die Prüflinge zusätzlich mechanisch angeregt (z.B. Vibrationsbelastung) sowie mit einer definierten Feuchteumgebung beaufschlagt werden, aber auch aktive Lastwechseltest kombiniert mit passiven Temperaturwechseln. Ziel dieser aktuellen Forschungsbemühungen ist es, die dabei zugrundeliegenden Alterungsprozesse, inklusiver der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Lastfaktoren, besser verstehen zu können.

 

Aktive-Passive Temperaturwechsel

 

Temperaturwechsel / mechanische Tests / Feuchte / Bias

Beispiel für Lebensdauermodell zur Beschreibung der Lebensdauer (Lastzyklen) von Leistungsbauelementen in Abhängigkeit Temperaturhub und Mediumtemperatur

Die Durchführung von Zuverlässigkeitstests erlaubt neben der statistischen Testauswertung und Interpretation sowie der Fehleranalytik auch das Aufstellen von Lebensdauermodellen. Hierbei kann grundsätzlich zwischen zwei Modell-Typen unterschieden werden:

  • Analytisch-empirische Lebensdauermodelle
  • Lebensdauermodelle basierend auf der Fehlerphysik (Physics-of-Failure, PoF)

Voraussetzung für die Generierung von analytisch-empirischen Modelle ist eine hinreichend große experimentelle Datenbasis, da diese strenggenommen auch den Gültigkeitsbereich der Modelle definiert. Auf dieser Basis können, bspw. unter Verwendung vorhandener Ansätze wie der Arrhenius- oder der Coffin-Manson-Beziehung, entsprechende Modelle und Modelparameter direkt aus den Testdaten abgeleitet werden (Bild 1). Diese Modelle haben den Vorteil, dass sie (eine entsprechende Datenbasis vorausgesetzt) schnell aufgestellt und hinreichend genau zur Vorhersage der Lebensdauer innerhalb des experimentellen Datenbereiches verwendet werden können. Nachteilig ist allerdings, dass diese Modelle bei (stark) veränderten Lastbedingungen bzw. bei abweichenden Prüflingstypen (geänderte Technologie, Materialien, Geometrie, …) ihre Gültigkeit verlieren können. Dies kann wiederum nur durch Lebensdauermodelle, welche auf der Fehlerphysik basieren - also unter Beachtung der tatsächlich auftretenden thermo-mechanischen Spannungen und Dehnungen, realisiert werden. Dies geschieht für gewöhnlich unter Einbeziehung von Simulationstechniken (siehe Modellierung und Simulation) sowie weiterer experimenteller Untersuchungen (siehe Analytik und Charakterisierung).

Aktuelle Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Lebensdauermodellierung liegen zum einem bei der Bestimmung und dem Vergleich von Beschleunigungsfaktoren zwischen verschiedenen Lebensdauertests sowie gegenüber dem Betriebsverhalten*. Zum anderen Zzielen derzeitige Forschungsbemühungen darauf ab, Methoden zur Abschätzung der Systemzuverlässigkeit basierend auf dem Verhalten der Einzelkomponenten unter Einbeziehung irreversibler Ausfallmechanismen* weiterzuentwickeln.

 

Abschätzung der Systemzuverlässigkeit

aus dem Verhalten der Komponenten (unter Systembedingungen)

 

Beschleunigungs-faktoren

Vergleich Beschleunigungs-faktoren verschiedener Lebensdauertests untereinander und gegenüber Betriebsverhalten